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Eltern-Burnout

Erschöpfung statt Familienglück – wenn Eltern am Anschlag laufen 

Die Verantwortung, welche Eltern für die Erziehung ihrer Kinder tragen, kann zur Überforderung bis hin zum Zusammenbruch führen. Am 1. Juni ist Weltelterntag und ZURZACH Care legt den Fokus auf das immer noch tabuisierte Thema «Eltern-Burnout». Wir wollen Betroffene sensibilisieren und ermutigen, Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Erschöpft kommt Pia nach einem langen Arbeitstag nach Hause und setzt den dreijährigen Leo an den Tisch. Während Pia im Eiltempo das Abendessen für ihn und seine Schwester Lia vorbereitet, sind sich die Kinder schon in die Haare gekommen. Teller und Gabel fliegen quer über den Tisch, es wird gebrüllt und geschrien und Pia versteht ihr eigenes Wort nicht mehr. Alle Ermahnungen, dass es ihr zu laut sei und sie mit dem Quatsch aufhören sollen, versanden im Nichts und bringen die Mutter an ihre persönlichen Grenzen.

Das ist der ganz normale Wahnsinn, wie er tagtäglich bei vielen Eltern abläuft. Die hohen Ansprüche an sich selbst und der heutigen Leistungsgesellschaft, fehlende Emotions- oder Stressmanagementfähigkeiten, mangelnde emotionale oder praktische Unterstützung des zweiten Elternteils oder des sozialen Netzwerks sind Hauptbelastungsfaktoren, wie beispielsweise Forschende der Université catholique de Louvain, Belgien, herausfanden. Wenig Schlaf, ständige Verfügbarkeit und mangelnde Erholung beschleunigen eine sich anbahnende Erschöpfung zusätzlich. Werden hinzukommende körperliche Symptome über einen längeren Zeitraum ignoriert, zieht der Körper irgendwann die Notbremse und dann geht nichts mehr.

5% der Eltern in der Schweiz sind von elterlichem Burnout betroffen und gemäss Pro Familia gehört die Schweiz zu den Top 10 der Länder, die am stärksten von elterlichem Burnout betroffen sind.

Eltern zwischen Tabu und Limit

5% der Eltern in der Schweiz sind von elterlichem Burnout betroffen und gemäss Pro Familia gehört die Schweiz zu den Top 10 der Länder, die am stärksten von elterlichem Burnout betroffen sind. Der Begriff des Eltern-Burnouts wurde im Jahr 1989 erstmal in der Literatur genannt, in der Forschung erhielt das Phänomen erst in den letzten 15 Jahren mehr Aufmerksamkeit. Elterliches Burnout ist ein körperliches und psychisches Erschöpfungssyndrom, das mit der Elternrolle zusammenhängt. Es tritt auf, wenn Eltern chronischem Stress ausgesetzt sind und nicht über die als ausreichend empfundenen Ressourcen verfügen, um diesen zu kompensieren. 

In der neuen Ausgabe des internationalen Klassifikationssystems der Krankheiten ICD-11 wird zwar das beruflich bedingte Burnout als Syndrom in Folge von chronischem Stress im Arbeitskontext aufgeführt, der Begriff des Eltern-Burnouts ist jedoch nicht erwähnt und somit auch weiter nicht offiziell als Diagnose klassifizierbar. Diese gravierende Lücke ist problematisch und aufgrund des mangelnden Bewusstseins sind Eltern-Burnouts nach wie vor mit Scham behaftet. Der starke Anstieg der Anrufe beim Elternnotruf zeigt jedoch deutlich, wie dringlich die Situation und wie wichtig die Aufklärung und Enttabuisierung ist. Im Unterschied zu einem beruflichen Burnout sind Mütter und Väter im Eltern-Burnout langfristig herausgefordert, die Beziehung zum Kind lässt sich nicht kündigen. Oft werden Eltern durch das Verhalten der Kinder auch auf sehr persönliche eigene Themen zurückgeworfen, welche tiefer sitzen und nicht schnell aus dem Weg geräumt werden können. Hinzu kommt in der heutigen Zeit das fehlende Gefüge einer Grossfamilie, wo jeder Einzelne tatkräftig unterstützt. 

 

Hohe Ansprüche herunterschrauben

Wer sich im Teufelskreis bewegt, kennt die ständig kreisenden negativen Gedanken, Angst- und Panikattacken sowie Schlafstörungen zu gut. ZURZACH Care beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Wechselwirkung von Körper und Psyche und bietet im neuartigen Zentrum für Schmerz, Schlaf und Psyche (SSP) in Zürich einen sicheren Rahmen, in dem sich Personen mit Erschöpfung orientieren können. Auch Mütter und Väter finden im SSP professionelle Unterstützung, wo Fachärzte, Psychologinnen und Therapeuten interdisziplinär zusammenarbeiten und einen individuellen Therapieansatz erarbeiten. 

«Ein Risikofaktor für Eltern-Burnout ist der eigene Anspruch, ein perfekter Vater oder eine perfekte Mutter sein zu müssen und das Gefühl, mit all den damit verbundenen Pflichten alleine zu sein.»

Maren Cordi arbeitet als Psychotherapeutin am SSP mit kognitiv – verhaltenstherapeutischem Hintergrund und behandelt schwerpunktmässig Depressionen, Schlafstörungen, Angsterkrankungen, Burnout und Stresserkrankungen. Sie setzt hypnotherapeutische und emotionsfokussierte Methoden ein und weiss genau, wo man mit den Patienten in der verhaltensorientierten Gesprächstherapie als erstes ansetzt: «Ein Risikofaktor für Eltern-Burnout ist der eigene Anspruch, ein perfekter Vater oder eine perfekte Mutter sein zu müssen und das Gefühl, mit all den damit verbundenen Pflichten alleine zu sein. Unter Druck geht der klare Blick schnell verloren und man muss sich erst wieder bewusstwerden, welches die eigenen Ansprüche sind und über welche Ressourcen man verfügt. Aus dieser Erkenntnis heraus entwickeln wir zusammen mit dem Patienten oder der Patientin neue Prioritäten und realistischere Ziele.»

Chance zur ehrlichen Lebensbilanz

Eine Erschöpfung ist meist ein schmerzliches Stoppsignal und eine persönlich wahrgenommene Krise, es kann aber auch eine Chance sein zur Korrektur und einer ehrlichen Lebensbilanz. «Sich austauschen zu können, praktischen und emotionalen Rückhalt zu erfahren, stellt bei allen psychischen Schwierigkeiten einen enormen Schutzfaktor dar. Hier geht es einerseits um konkrete organisatorische Veränderungen und darum herauszufinden, wer sich im Umfeld einbinden lassen könnte», erklärt Cordi. Weiter betont sie: «Sich Raum für Selbstfürsorge einräumen und eigene Hobbies wieder ausleben, spielen in diesem Findungsprozess auch eine zentrale Rolle. Solche Massnahmen erhöhen die Stressresistenz und dienen als Schutzfaktor, damit die Leichtigkeit und Freude im Familienleben wieder zurückkehren können.»

Weitere Anlaufstelle 

Schweizer Elternnotruf

Fachpersonen bieten täglich während 24 Stunden kostenlos und auf Wunsch anonym Beratung und Hilfe bei Erziehungsfragen, Konflikten und Krisen in der Familie – für Eltern, Familien und Bezugspersonen, per Telefon, E-Mail oder im persönlichen Gespräch. 
www.elternnotruf.ch oder 0848 354 555 (Festnetzanruf)